Mai 2022, GRAUSPECHTE-Exkursion zum Kühkopf
Eine Auenlandschaft wird wieder „instandgesetzt“.
Das NSG Kühkopf in Stockstadt am Rhein ist überregional bekannt. Es ist das größte NSG in Hessen und typisch für seine Auenlandschaften.
Förster Ralph Baumgärtel
Am Gutshaus GuntershausenFörster Baumgärtel, der Leiter des Umwelt-Bildungs-Zentrums, verglich in seiner einführenden Beschreibung die Biodiversität des Areals mit dem Marchfeld an der Donau, östlich von Wien, und der der mittleren Elbe. Das NSG wirbt mit dem Prädikat „Schatzinsel“, was der Bedeutung der Artenvielfalt entspricht.
Förster Ralph Baumgärtel
Blick in die Auwiesen
Einführung in die Biodiversität des Areals
Auf der von ihm geführten Wanderung entlang des Nachtigallen- und Weißstorchweges, erfuhren wir Informatives zur Struktur und Ökologie der Auwiesen und des Auwaldes. In den Auen, die bis Anfang der 80-er Jahre intensiv ackerbaulich genutzt wurden, fand sogar Ölförderung (das „Texas“ Hessens) statt.
Mit dem Hochwasser von 1983 brachen Dämme, die die Ackerflächen vor Überflutung schützten. In dem Gebiet war „ … nichts mehr normal ...“, so der Förster. Seitdem werden kontinuierlich die ökologischen Bedingungen, da Ackerbau durch die großen Sandablagerung nicht mehr rentabel war, durch Sukzession und extensive Bewirtschaftung naturnah wiederhergestellt.Die Überflutungen werden jetzt, da die Dämme nicht repariert wurden, in Kauf genommen.
Wegrändern entlang der Auwiesen
Bergahorn acer pseudoplatanusAn den Wegrändern entlang der Auwiesen werden alte Obstsorten und Feldgehölze, wie z.B. Bergahorn (acer pseudoplatanus), Feldulme (ulmus minor)und Sommerlinde (tiliaplatyphyllos), kultiviert.
Förster Baumgärtel verdeutlichte uns an den großen Flächen den Aufwand, naturnahe Flussauen wieder her zu stellen. Der Prozess dauert nun seit 40 Jahren an und ist noch nicht abgeschlossen.
Sukzession von typischen Geophyten wird durch flächiges Mulchen erreicht. Unerwünschte Geophyten wie z.B. Disteln werden dabei zurückgedrängt. Teils unterliegt der Auwald noch der Nutzung, aber in der Kernzone wird der Natur freien Lauf gelassen. Hier ist der Wald in seinem Aufbau einfach nur beeindruckend.
Altrheinarm bei StockstadtDer Altrhein, als umfassende Grenze, unterliegt übers Jahr starken Wasserschwankungen, die das Leben von Pflanzen, Bäumen und Tieren bestimmen.
Die teils hohen Wildbestände bei Rehen reguliert da spontan auch mal das Hochwasser. Am hohen Gras der Auwiesen kann man an der Verbisskante den wohl großen Bestand an Rehen nachvollziehen. Das Verhalten der Tiere begünstigt auch die Ausbreitung von Baumarten in der Weichholzaue. In den Wühlstellen der Wildschweine keimen z.B. bevorzugt Silberweiden (salix alba).
Blick auf den jungen EichenwaldDas Angebot von Wasser und Licht regelt die unterschiedlichen ökologischen Voraussetzungen. 1988 stand das Hochwasser ein halben Meter hoch im Gutshaus. Im NSG müssen Lebewesen und Baumarten mit bis zu 4 Meter Grundwasserspiegelschwankungen und bis zu 7 Meter hohen Hochwasserständen bei Flut zurecht kommen.
So kann die Eiche bis zu 100 Tage Hochwasser, die Buche aber höchsten 10 Tage Überflutung (… in der Vegetationszeit) ertragen.
Die Esche wird am Kühkopf zusammen auch mit Eiche, Bergahorn und Wildobst angepflanzt. Ein aus Ostasien eingeschleppter Pilz bedroht allerdings den Bestand der Esche am Kühkopf existenziell, wie auch die europäischen Bestände. Ein Gegenmittel gibt es nicht. So wird sich die Zusammensetzung des Auwaldes grundlegend ändern. Auch der fortschreitende Klimawandel erfordert die Erforschung anpassungsfähiger Baumarten, auch für den Kühkopf.
m alten Auwald
Schwarzpappeln in der WeichholzzoneDiese Stärken und Schwächen haben daher großen Einfluss auf die Zusammensetzung der Auwaldes. In der feuchteren, daher jungen Aue oder auch Weichholzaue, findet man eher Schwarzerle (alnus glutinosa), Silberweide (salix alba) und die seltene Schwarzpappel (populus nigra).
In der trockeneren Zone, der alten Aue oder Hartholzaue, stehen Eiche, Ulme, Rotbuche , Esche und Wildobstsorten wie Kirschpflaume (prunus cerasifera). Sie ist ebenfalls gut hochwasserverträglich. Die Esche (fraxinus excelsior) ist typischer und häufigster Baum in der Hartholzaue mit einer Überflutungstoleranz von mehr als 30 Tagen in der Vegetationszeit.
Teich in der Kernzone
Sumpfschildkröte emys orbicularisEinige Teiche befinden sich in der Kernzone. Hier trifft man auf die europäische Sumpfschildkröte. Zwei Exemplare sonnten sich auf einem Baumstamm im Teich am alten Damm. Eine wollte nicht fotografiert werden und tauchte ab.
Kernzone des Auwaldes
Auwald
baumhoher Weißdorn, crataegus
Im alten Auwald regelt auch das Licht den Lebensraum der Baumarten. In unterschiedlicher Wuchshöhe stellen sich Baumarten auf das Lichtangebot ein. Hier wächst der Weißdornbaumhoch, der Haselstrauch erreicht 4 Meter Höhe und die Eiche überragt alle weiteren Baumarten.Hier bekommt man noch den Eindruck, wie es im Laub-Mischwald Mitteleuropas einmal ausgesehen haben muss.
Mittelspecht leiopicus medius
Nest auf dem GutshausDie im Herbst und Frühjahr üppige Vogelwelt war eher spärlich wahr zu nehmen. Der Mittelspecht ist in Mitteleuropa in lichten warmdruchfluteten Laub-Misch-Wäldern zu Hause. Sein intensives Trommeln und seine Lockrufe („kweck kück-kück-kück“ in Serien) waren während der ganzen Wanderung im Wald zu hören. Er hat eine Vorliebe für alte Eichen. Der Weißstorch, auf dem Dach des Gutshauses, begrüßte seine Brutpartnerin durch klappern.
Kopfweiden am kleinen Kühkopf
Seitenarm des Aquariums
Beobachtungshütte „Schlappeswörth“
Am nördliche Arm des Altrheins befinden sich einige Seitenarme die Rückzugsgebiete für Wasservögel sind. Von der Beobachtungshütte aus, hat man einen weiten Blick in die Wasserlandschaft.
Blick in das Aquarium
Graureiher
Das Aquarium (kleiner Kühkopf), ist ein vom Altrhein abzweigender Seitenarm. Entfernt stand ein Graureiher im flachen Wasser und spähte nach Beute aus. Ein Stockenten- und Nilganspaar waren die einzigen Wasservögel, die wir sahen.
Die Stockente ist die einzige Ente, die im Kühkopf brütet. Andere Enten- und Gänsearten (z.B. Graugans) sind Zieher und rasten im Herbst und Frühjahr in großer Zahl in den Ruhezonen am Altrhein. Sie brüten aber nicht dort. Dagegen brütet der Schwarzmilan sehr häufig im Gebiet. Er ernährt sich hauptsächlich von Fischen aus dem Altrhein.
Die engen Zugänge vom Rhein zum Altrhein, lassen Fischwanderungen nur bei Überflutungszeiten zu. So werden einige Fischarten in den Altrhein gespült, wo sie ihr bevorzugtes Laichgebiet haben.
Im Wasser des Aquariums gründelten Wildkarpfen, die hier bei niedrigem Wasserstand und wärmerem Wasser laichen. Sie ziehen mit der Flut vom Neurhein in den nördlichen Altrhein.
Der Laich wird mit späteren Hochwasserständen wieder in das Flusssystem gespült. Auch die Flunder nutzt den Altrhein für ihre Nachzucht. Zudem findet man Aale, Hecht und Rotfedern vor.
Bärlauch allium ursinum
Bärlauch allium ursinum
Knoblauchallee
Die Welt der Kraut- und Blühpflanzen ist ebenfalls spannend. Der Bärlauch stand in voller Blüte und machte aus den Rändern der Waldwege förmlich Alleen.
Gemeiner Beinwell symphytum officinalis
Gamander Ehrenpreis veronica chamaedrys
Rauhaarige Wicke vicia hirsuta
Knoblauchsrauke alliaria petiolataDie Knoblauchsrauke war einst eine Gewürzpflanze und geriet später durch preisgünstiger Gewürze in Vergessenheit.
Riesenbärenklau heracleum mantegazzianum
Storchschnabel unidentifiziert
Stengelumfassende Gelbdolde (Smyrnium perfoliatum)
Die Gelbdolde, auch Gespenst-Gelbdolde oder Kleiner Pferdseppich genannt, wurde bereits 512 von dem Römer Plinius, den Griechen Galen und vor allem Dioskurides als Heilplanze, für vielfältige Anwendungen, beschrieben.
Großer Bocksbart tragopogon dubius
Wilder Hopfen humulus lupulusWilder Hopfen rankte an einem Haselstrauch empor.
Wollschweber, bombylius majorEtliche Insektenarten sichteten wir an den sonnenbeschienenen Wegrändern u.a. öfters Wollschweber (bombyliidae).
... entdeckt ...
schwarzköpfiger Feuerkäfer, pyrochroa coccineaZwei schwarzköpfige Feuerkäfer leuchteten scharlachrot beim Paarungsakt, mitten auf dem Radweg. Das mußte natürlich genau unter die Lupe genommen werden. Da Feuerkäferlarven auch andere Insektenlarven fressen, sind sie auch Nützlinge.
Goldlaufkäfer, carabus auratusGoldlaufkäfer, auch „Goldschmied“ genannt, sind wärmeliebende Käfer und machen Jagd auf Schnecken, Würmer und auch andere Insekten. Erstaunlicherweise waren viele der Käfer, die wir vor allem auf den Waldwegen fanden tot und zerquetscht, vermutlich von Radfahrern überfahren.
Auwaldzecke dermacentor reticulatusIn den weitläufigen Auwiesen kommt zahlreich die Auwaldzecke, auch Winterzecke genannt, vor. Sie überträgt die sogenannte Hundemalaria. Martin Schroth hatte an seinem Hund gleich ein Exemplar entdeckt.
Aurorafalter (weiblich) anthocharis cardaminesDas weibliche Exemplar hat keine Orangefärbung, im Gegensatz zu den männlichen Vertretern. Der Tagfalter bevorzugt als Nektarplanzen Wiesenschaumkraut, Knoblauchsrauke und Ackersenf.
Die erwarteten Mücken hatten wohl besseres zu tun als uns stechen zu wollen und so konnten wir auch im Restaurant, mit Blick auf den Altrhein, ungestört das Mittagessen geniessen.
Wir konnten bei der Wanderung die typischen Strukturen des NSG gut erkennen. Der Kühkopf, als weiträumige Auenlandschaft, sieht sich vielen Herausforderungen ausgesetzt. So bleibt abzuwarten, ob die Anpassung der Baumarten, ein sicher jahrzehntelanger Prozess, gelingt und ob die Beziehung zwischen Natur und Freizeitbedürfnis der Menschen ausgleichend geregelt werden kann. Der Druck auf das Gebiet, durch das zunehmende Bedürfnis an naturnaher Erholung, wird wohl größer werden.
Quellen: Wikipedia/Wikimedia; Carinthia II/Klagenfurt 2015;
BM Umwelt, Naturschutz … (Den Flüssen mehr Raum geben, 2015)
Fotos: Klaus Benedickt, Ursula Heidrich, BUND e.V., bing, fotocommunity