Um den „Gailenberg“ in Mühlheim zu erwandern, muss man die Meereshöhe von 130 Metern erklimmen, er ist die höchste Erhebung der Mühlheim-Seligenstädter Senke. Ihn umgibt ein FFH-Gebiet und Biotop-Verbund, wenn man die Dietesheimer Steinbrüche mit ihren 5 Seen einbezieht.
Geologisch ist das Gebiet insofern interessant, als unter den bis zu 3 Meter mächtigen Flugsanden eine 18 Meter dicke Basaltschicht liegt. Diese entstand, da in direkter Nähe kein Vulkan vorkommt, aus dem Lavastrom des Vogelsberg Vulkans (vor 15 Millionen Jahren).
Der Sand wurde gegen Ende der letzten Eiszeit (vor ca. 20.000 Jahren) aus dem Flussbett des Mains ausgeblasen und lagerte sich südlich-östlich der Mainlinie in Form von Dünen ab. Darüber entstand eine dünne Humusschicht, die Grundlage für die heutige Flora.
Botanisch ist der Gailenberg daher außergewöhnlich. Er wurde bereits im 16. Jahrhundertkultiviert; es entstand eine freie und windgeschützte Fläche, die vollständig mit Wald umgeben ist.
Durch das besondere Mikroklima zählt der Ort zu den wärmsten und trockensten in Hessen.
Das begünstigt wärmeliebende und an Trockenheit gewöhnte Pflanzen, erst viel später entwickelte sich der dazu geeignete Trockenrasen.
Bereits am Parkplatz konnte uns Heinz Hänel mit verschiedenen Gallen vertraut machen. Das Innere der Buchengall-Mücke sowie der der Eichengall-Wespe inspizierten wir auf Unterschiede. Die beiden Gallenarten haben deutlich abweichende Formen. Die Buchengalle siedelt gern in Gruppen, meist auf der Oberseite des Rotbuchenblattes. Die Eichengalle entwickelt sich an der Unterseite des Eichenblattes entlang der Mittelader.
Der erste Wegabschnitt liegt auf dem „Lämmerspieler Rundweg“, der die gesamt Fläche und angrenzende Waldabschnitte streift.
Am stillgelegten Steinbruch mit seinem östlichen Steilufer, an dem früher auch der Eisvogel brütete, haben wir einen freien Blick auf die Wasserfläche. Verbuschung und Abbruch der Uferwand haben den Brutplatz unbrauchbar gemacht.
Starker Pollenflug des Vortages hatte auf der Seeoberfläche gelb-grüne Ablagerungen hinterlassen.
Hier wurde ehemals Basalt gewonnen. Nebenbei förderte man auch „Steinheimer Opale“ zutage, ein Calcedon-Gestein das im Verlauf von vulkanischen Aktivitäten entsteht.
Auf der reich strukturierten Fläche findet man noch etliche baumumsäumte Wege und imposante alte Einzelbäume.
Streuobstwiesen sind eine typische Nutzung in der heutigen Fläche, hinzu kommen etliche Kleinäcker. Insgesamt sind 600 Parzellen, auch in Privatbesitz, vorhanden.
Eine ab 1977 „sanierte“ Streuobstwiese, gleich zu Anfang der Fläche, wurde mit Neupflanzungen von diversen Obstbäumen und starkem Rückschnitt alter Obstbäume, wieder belebt.
Die Vielfalt der Baumarten wird durch Maronen-, Walnussbäume und Speierling bereichert.
Die 7-Geschwistereiche ist ein spektakuläres Naturdenkmal. Die Eiche ist 200 Jahre alt und hat einen Umfang von 8 Metern. Durch Rückschnitt eines Schößlings entstanden sieben einzelne, auf einem Stamm aufsetzende Triebe. Einer wurde wegen Pilzbefall vor etlichen Jahren gekürzt, was dem imposanten Wuchsbild keinen Abbruch tut.
Ein Hohltaubenkasten, am benachbarten Baum, könnte auch eine Nistmöglichkeit für den auch hier häufiger zu sehenden Wiedehopf sein. Auf dem Gelände sind immer wieder Bienenhotels oder Nistkästen aller Art zu sehen. Sie tragen zur Arten-Vielfalt auf den Wiesen bei. Dazu zählen auch 70 Hummel- und über 20 Wildbienenarten.
Vom Leben und Sterben der alten Bäume zeugen diese beiden Fotos. Selbst als abgestorbener
Baum, hat der Obstbaum noch eine wuchtige Erscheinung.
Zwischen alten Kiefern und Kastanien erreichen wir eine Weggabelung, an der spät blühende Ginstern stehen. Die Fruchtkapseln der Maronen platzen auf und lassen einen Blick auf die braunen Kerne zu.
Wein, als Errungenschaft aus der Römerzeit, wurde bereits im 16. Jahrhundert angebaut. Der Weinbau fiel den nachfolgend kälteren Jahren und Zerstörungen durch den 30-jährigen Krieg zum Opfer. Danach wurde die Fläche zum Apfelanbau genutzt. Der Weinbau wurde 1994 durch eine Interessengemein-schaft Weinbau wieder belebt. Es wurden 99 Weinstöcke der Rebensorte Weissburgunder gesetzt. Der Wein wird gekeltert und jedes Jahr in einem Wein-Tasting bewertet.
Vorbei an einer Blühwiese und etlichen Obstbäumen, die wegen des kürzlich statt gefundenen Streuobst-wiesenfestes bereits abgeerntet waren, erreichten wir den Gailenberg. Hier treten die Flugsande zu Tage.
Der Name Gailenberg stammt von dem mittelhochdeutschen Adjektiv „gail“ im Sinne von „üppig/wuchernd“ ab (ab dem 12. Jahrhundert gebräuchlich). Je nach Sprachraum, z.B. dem Alemannischen, kann auch die Bedeutung „steil“ oder „ansteigend“ zu treffen.
Am höchsten Punkt der Fläche angekommen fällt eine offene Sandfläche ins Auge, der sie umgebende Trocken-rasen zieht sich nach Südwesten hin. Der sandig-trockene Boden begünstigt seltene Pflanzen, insbesondere die geschützten Sandstrohblumen und die Silbergras-Fluren.
Eine botanische Besonderheit ist der Feld-Mannstreu, eine Doldenblütlerart, die Wurzeln bis zu 2 Meter Tiefe ausbilden kann. Ihre bizarre Wuchsform hat wohl zu den älteren Namen „Donnerdistel“oder „Elend“ geführt. Wird die Distel bei starkem Wind entwurzelt, so rollt sie über den Boden und verbreitet somit ihre Samen. Die rollende Bewegung steht sicher für die Symbolik „rollender Donner“ und die tiefe Wurzel für das „Elend“, da die Pflanze immer wieder
austreibt.
In den angrenzenden höheren Grasfluren blühten noch weitere farbenfrohe Pflanzen.
An einer Schafgarbe trafen sich zwei Käfer. Links der 7-Fleck Marienkäfer (coccinella quatuor septempunctata) und daneben der schwarz-gefleckte Trockenrasen-Marienkäfer (coccinella quatuordecimpustulata).
Leider gab es im August 2020 ein Feuer in der Nähe des Trockenrasens. Eine alte Kiefer und 6000 qm Streuobstwiesen brannten ab. Offenbar wurde der Brand durch Rücksichtslosigkeit ausgelöst. Die Silber-Gras-Fluren werden aber wieder dichter. Beanspruchung, nicht aber Feuer, sind für den Erhalt der Grasflur wichtig. Damit wird eine Verbuschung reduziert. Eine Erkenntnis, die auf Truppenübungs-plätzen gewonnen wurde.
Versteckt liegen noch Steinhaufen in einigen Flächen. Hier haben Eidechsen einen Rückzugsraum. Ein Kleiner Feuerfalter und einige Kohlweißlinge überflogen die Fläche. Der Kartoffel-Bovist, ein Stäublingsverwandter, stach mit seinem weißen Fruchtkörper aus dem Grün der Pflanzen heraus.
Wegen der zunehmenden Belastung des Gebietes, z.B. Schäden an der Grasflur durch Freizeitaktivitäten und freilaufende und grabende Hunde, bleibt zu hoffen, daß die Stadt Mühlheim Regelungen zur Nutzung des Areals, wie an den Dietsheimer Steinbrüchen,
ausweitet.
Durch idyllische Baumreihen wanderten wir wieder zum Parkplatz zurück.
Eine abwechslungsreiche Kulturlandschaft prägt den Charakter des FFH-Gebietes Gailenberg. Die Dietesheimer Steinbrüche, mit ihren 5 Seen, sind nicht weit entfernt und ermöglichen die Verlängerung einer Wanderung. Dieses Gebiet hat aber einen ganz anderen Charakter.
Zusammen mit der ursprünglichen Kulturlandschaft des Gailenberges sicher ein lohnendes Naturerlebnis.
Quellen:
Fotos: K.Benedickt
Texte: K.Benedickt, NABU Mühlheim, wikipedia